Wenn das Leben zum Kotzen ist

Schulklassen im Ostalbkreis können jetzt das Jugendtheaterstück „Püppchen“ zum Thema Essstörungen buchen

„Mein Leben ist zum Kotzen“, findet Lena. Und genau das macht sie mehrmals täglich. Shirin hingegen isst nur noch Miniportionen, um mehr und mehr abzunehmen. Lena und Shirin sind die Hauptpersonen im Jugendtheaterstück „Püppchen“. Das soll über Essstörungen aufklären. Das Stück können Schulklassen im Ostalbkreis ab sofort buchen. Warum Essstörungen ein wichtiges Thema sind? Darüber spricht Cordula Weinke für die Jugendredaktion (JuRe) mit Dr. Martin von Wachter, Mitarbeiter im „Netzwerk Essstörungen im Ostalbkreis“, kurz NEO.

Die Ess-Brechsucht zählen Fachleute zu den typischen Varianten der Essstörungen. Dieses Problem thematisiert ein Jugendtheaterstück. (Foto: Tatty, fotolia.com)

JuRe: Warum bietet NEO zusammen mit dem Landratsamt, der AOK Ostwürttemberg und der Caritas jungen Leuten auf der Ostalb das Theaterstück „Püppchen“ an? Sind Essstörungen unter den Jugendlichen hier ein besonders großes Problem?

Dr. Martin von Wachter: Essstörungen zählen zu den schweren psychischen Erkrankungen. Sie bringen euer Leben ziemlich durcheinander. Sie sollten behandelt werden. Zwar sind Depressionen ein noch größeres Problem unter Jugendlichen und nicht in jeder Schulklasse gibt es Mädchen und Jungen, die Essstörungen aufweisen. Aber schon allein mit Diäten beschäftigen sich doch viele junge Leute.

Magersucht, Ess-Brechsucht und Binge-Eating-Störungen erkennen

Was für Essstörungen gibt es? Wie merke ich, ob sie in meinem Freundeskreis ein Problem sind?

Da gibt es zum einen die Magersucht. Die erkenne ich daran, dass jemand ständig weiter abnimmt, um sich selbst besser zu gefallen. Magersüchtige essen fast nichts, am liebsten Salatblätter. Dann gibt es die Ess-Brechsucht. Sie ist von außen nicht sichtbar. Die Betroffenen verheimlichen, dass sie nach dem Essen brechen – oft bis zu drei- oder viermal am Tag. Sie fühlen sich in ihrem Körper nicht wohl, das Brechen dient ihnen als Ventil, um Druck abzulassen. Und dann gibt es noch die Binge-Eating-Störung. So nennt man Essanfälle ohne Erbrechen. Die Betroffenen sind häufig übergewichtig. Sie können zum Beispiel heißhungrig drei Dosen ungekochte Ravioli hintereinander leeren.

Wie kann es überhaupt zu Essstörungen kommen?

Dabei spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. In der Pubertät müssen sich Jugendliche mit einer veränderten Situation auseinandersetzen: mit dem jungen Erwachsensein, mit ihrem neuen Körper und mit sozialen Veränderungen. Wenn sie dazu noch Druck und Stress erleben – zum Beispiel durch Konflikte an der Schule oder in ihrer familiären Rolle – verlieren junge Menschen leicht ihr Selbstwertgefühl. Dann können sie zu der Ansicht kommen, dass sie nur ihren Körper unter Kontrolle haben, nicht aber den Rest des Lebens. Schönheitsideale, die ihnen die Medien vermitteln, können das Übrige bewirken, um dann zum Beispiel magersüchtig zu werden. Wobei nicht nur solche Schönheitsidealbilder bei Essstörungen eine Rolle spielen. Bei der Entstehung von Essstörungen gibt es immer mehrere Faktoren.

Sind Essstörungen eher ein Problem, das Mädchen betrifft?

So ist es. Wir bemerken dies bei Mädchen zehnmal so häufig wie bei Jungen.

Wo können sich Betroffene unkompliziert Hilfe holen?

Bei ihrem Hausarzt, außerdem bei den Beratungsstellen der Caritas in Aalen und Schwäbisch Gmünd. Junge Frauen können sich auch an ihren Gynäkologen wenden. Bei NEO, also im „Netzwerk Essstörungen im Ostalbkreis“, haben Beratungsstellen‚ Ärzte‚ Psychotherapeuten und die AOK ihre Kräfte gebündelt, um Betroffenen rasch und effektiv Unterstützung zu bieten.

© Schwäbische Post 05.11.2013