Essstörungen nehmen zu. Auch Männer sind davon betroffen, obwohl es sich eindeutig um eine frauenspezifische Suchterkrankung handelt. „Noch immer gilt das Verhältnis 1:10“, erklären Dr. Askan Hendrischke und Dr. Martin von Wachter von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin im Ostalb-Klinikum Aalen.
Zwischen Juli 2002 und Juni 2003 wurden in der Psychosomatischen Klinik zwölf Patienten mit reinen Essstörungen therapiert. Die Zahl ist zwar deutlich geringer als die der Patienten mit depressiven Störungen (19) oder Angststörungen (32). „Allerdings“, gibt Chefarzt Dr. Hendrischke zu bedenken, „leidet auch ein Teil der Patienten mit Angststörungen zusätzlich unter Essstörungen.“ Der Teufelskreis beginne meist mit einer Diät aufgrund des Gefühls: Ich bin zu dick. „Und verselbständigt sich dann, auch wenn die anfänglichen Konflikte längst nicht mehr bestehen“, fügt Oberarzt Dr. von Wachter an. Patienten, die aus eigenem Antrieb in die Psychosomatik kommen, haben sich zuvor meist ihrem Hausarzt anvertraut. Wachter: „Das sind meist magersüchtige Patienten mit kürzerer Leidensgeschichte.“ Eine weitere Tendenz zeigt sich: Von der Magersucht betroffen sind immer mehr Teenager. „Vor einigen Jahren noch war 17 Jahre das Eintrittsalter in die Magersucht, heute betrifft es schon 13-Jährige.“ Eine ernst zu nehmende Entwicklung. Denn: Rund 20 Prozent der Magersüchtigen stirbt an den Krankheitsfolgen.
„Die“ Therapie für Essstörungen gibt es nicht. Was es gibt, sind verschiedene Ansätze nach dem Muster der Verhaltenstherapie. Schließlich handele es sich bei den Essstörungen um gelernte Verhaltensweisen, die wieder „verlernt“ werden müssten, sagen die Mediziner. Dazu gehört in der Psychosomatischen Klinik in Aalen ein Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient, in dem unter anderem ein Mindestgewicht festgelegt ist sowie wöchentliche Gewichtszu- oder -abnahme. Dazu gehört die Einbeziehung des famliären Umfelds in die Therapie, Ernährungsberatung, Einzel- und Gruppenpsychotherapie. Und dazu gehört auch, verborgene Gefühle wieder zu leben lernen im Rahmen von Körpertherapie, Musik- oder Kunsttherapie.
Gibt es Chancen, die Sucht ganz zu überwinden? „Ja“, meint Hendrischke. Von Wachter: „Es gibt die Faustregel, dass ein Drittel der betroffenen Essgestörten nach der Therapie eine deutliche Besserung erfährt. Vier bis fünf Jahre nach der Behandlung haben 40 bis 50 Prozent der magersüchtigen Patienten noch einen guten Heilungserfolg. Bei 25 bis 30 Prozent ist er mittelmäßig oder schlechter.“
Schwäbische Post 22.8.2003 VON ULRIKE WILPERT